„Und dann müssen wir natürlich schauen, wie ist das gesamtgesellschaftliche Klima […], da sind die Medien ein guter Spiegel, weil die das auch beeinflussen. Und wir brauchen natürlich auch das gesellschaftliche Klima, um zu einem vernünftigen Abschluss zu kommen.“ (PR-Experte/in auf Gewerkschaftsseite)
Auch wenn Tarifverhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, spielt die Medienöffentlichkeit eine wichtige Rolle: Medienberichterstattung wird aktiv wahrgenommen, professionell beobachtet und ausgewertet. Für die Tarifexpert:innen stellt mediale Berichterstattung ein Spiegelbild der öffentlichen Stimmungslage dar. Auch die Haltung unter Mitgliedern oder anderer wichtiger Stakeholder (bspw. in der Politik) ver-suchen sich Tarifexpert:innen aus den Medien zu erschließen.
Entgegen der Annahme, Medienöffentlichkeit würde in Tarifverhandlungen keine Rolle spielen, zeigt sich: Sie wird aktiv wahrgenommen, professionell beobachtet und ausgewertet. Die Medienöffentlichkeit stellt für viele Verhandlungsexpert:innen einen Spiegel der öffentlichen Stimmungslage dar. Über sie wird abgeschätzt, wer gerade „die Nase vorne hat“, also die größere Unterstützung in der Öffentlichkeit erfährt bzw. welche Verhandlungsseite sich in der Öffentlichkeit gerade unbeliebt macht. Deshalb ist insbesondere das Monitoring reichweitenstarker Massenmedien wichtig. Diese erreichen viele Menschen und beeinflussen, so die Annahme der Tarifexpert:innen, folglich auch die Stimmung in der Öffentlichkeit.
Relevant ist aber nicht nur die breite Öffentlichkeit. Auch Hinweise auf die Stimmung relevanter Bezugsgruppen, wie bei den Mitgliedern, potentiellen Kund:innen, Investor:innen oder in der Politik, werden in der Medienberichterstattung gesucht. Medien werden außerdem genutzt, um die gegnerische Seite zu „belauern“. Denn öffentliche Aussagen der Verhandlungsgegnerin oder des Verhandlungsgegners oder Informationen über deren Anhängerschaft können relevant in kommenden Verhandlungsrunden sein.
Insbesondere zu wichtigen Wendemarken in der Tarifauseinandersetzung werden Medien aufmerksam beobachtet, da ihnen hier entscheidender Einfluss auf den Verhandlungserfolg zugeschrieben wird. Denn dann wird mitunter „das zarte Pflänzchen“ eines Verhandlungszwischenstandes durch medial geweckte, überzogene Erwartungen oder eine zu euphorische Stimmung in der eigenen Anhängerschaft zunichte gemacht.
Wie viel öffentliche Aufmerksamkeit Verhandlungen potentiell erfahren, stellt einen zentralen Orientierungspunkt für Tarifexpert:innen dar. In den Interviews wurde beispielweise deutlich, dass oftmals gar nicht der tatsächliche Inhalt der Medien kritisch bewertet wurde. Vielmehr setzten die Überlegungen schon einen Schritt vorher an, indem sich viele fragten: Gibt es für unsere Anliegen überhaupt ein öffentliches und mediales Interesse? Das sei laut Einschätzung der Tarifexpert:innen in den vergangenen Jahrzehnten rückläufig.
Aber wovon hängt mediale Aufmerksamkeit überhaupt ab? Laut Tarifexpert:innen sind verschiedene Faktoren wichtig – teilweise sind diese Faktoren feststehend, beispielsweise die Größe der Organisation oder die Reichweite des ausgehandelten Tarifvertrags. Andere Faktoren könnten gezielt beeinflusst werden, wenn man sich an die „Spielregeln“ der Medien hält. Eine solche Strategie ist beispielsweise, die Emotionalität der Verhandlungen zu betonen, um so die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die eigenen Inhalte zu lenken. Wer die beeinflussbaren Faktoren für sich zu nutzen weiß, kann Medienaufmerksamkeit geschickt auf die eigenen Inhalte lenken.